“schlau, mutig, hart an der Schmerzgrenze”
Die Aachener Zeitung schreibt nach der Premiere unseres “Fidelios” am Theater Aachen.
So einen Wohlfühl-„Fidelio“, bei dem die schöne, treuherzige Leonore die Wonnen der ehelichen Liebe besingt, bis sie schließlich ihren zwar ausgemergelten, aber stramm zu seinen Prinzipien stehenden Florestan aus dem dunklen Kerker der Tyrannei ans Licht der Freiheit zieht und alles „Heil“ und „Glück“ und „Freude“ schmettert – das will Alexander Charim sich und dem Aachener Publikum dann doch nicht zumuten. Der junge Wiener Regisseur Alexander Charim hat sich bei seiner ersten Arbeit in Aachen ausgiebig am Beethoven’schen Pathos abgerackert. Dessen in drei Fassungen überliefertem Bühnenwerk streicht er die Dialoge komplett und ersetzt sie durch eine Art szenisches Hörspiel. Dazu hat Matthias Grübel Texte von Charim, Beethoven und Marguerite Duras zu einem manchmal auf die Schmerzgrenze zielenden Vierkanal-Soundtrack verarbeitet. Das Ganze bildet dann einen eigenen, eigenständigen, sehr theatralen Gegenentwurf zu den Arien und Ensembles. […] Charims Arbeit ist mutig, konsequent, schlau. Aber reichlich übergriffig. Das kommt bei weiten Teilen des Aachener Publikums nicht gut an: Die Premiere endet in einem Buh-Konzert. Man darf also streiten, ob der Start in die neue Spielzeit gelungen sei. Also lässt sich das Premierenpublikum nicht lange bitten und diskutiert schon in der Pause, was das Zeug hält. Das mag als Zwischenergebnis verbucht werden, und zwar als ein positives. Denn was wäre schlimmer als ein Theater, das nicht bewegt? […] Dann die Ouvertüre und wieder dieses weiße Zimmer mit den blassblauen Wolkenwänden, in dem Leonore sich in Fidelio verkleidet. Ein Tagebuch („Der Schmerz“ von Duras), ein blaues Kleid, Trauer, Verlust, Hoffnung. Das Spiel beginnt, die Bühne dreht sich. Zum rosa Wohnzimmer von Familie Kerkermeister; zum Gefängnishof mit Tomatenbeet und Bergidyll-Wandmalerei. Alles ist eins in diesem Meisterwerk von Bühnenarchitektur, für das Ivan Bazak verantwortlich ist. Und über allem, im gläsernen Oberstübchen, Don Pizarros Überwachungszentrale.
[…] Auf eine irritierende Weise wirken die musikalischen Szenen zunächst wie Fremdkörper zwischen den hörspielartig eingefügten Passagen, die im Grunde ja Träger der Handlung sein sollen, während im Gesang die Zeit gewissermaßen gefriert. Doch diese Fremdheit hat Methode: Charim verbindet die vordergründig harmlose Musik mit dem, was für ihn im Zentrum der Oper steht: Willkür, Macht, Aggression. Und ihm gelingen berauschend schöne Übergänge zwischen diesen Welten, wenn sich etwa Beethovens Musik wie subversiv ins Zwischenspiel einschleicht, um dann umso blendender ihre klassische Schönheit zu entfalten. […]
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